Heimat- und Museumsverein Zwenkau und Umgebung e.V.

Ratskeller

Ratskeller

Im Jahre 1866 wurde der “Ratskeller“ im Stil der italienischer Palastarchitektur der Frührenaissance und der englischen Tudor Gotik erbaut. Das Gebäude beherbergte den Sitz des Bürgermeisters und auch die Gaststätte “Ratskeller“.

Der Tudorstil ist ein stark ornamentaler Stil der Backstein-Bauweise. Als Tudorstil (engl. “Tudor Style“) oder Tudorgotik wird in der englischen Baukunst die letzte Periode des gotischen Stiles im Übergang zur Renaissance während der Herrschaft des Hauses Tudor (1485 bis 1603) bezeichnet. Berühmtester Tudorbau war ursprünglich Hampton Court, ein Schloss im äußersten Südwesten Londons am linken Ufer der Themse. Heinrich III. hatte das Anwesen, das aus einem mittelalterlichen Landgut hervorgegangen war, 1528 übernommen und bis 1540 in diesem neuen Stil umbauen lassen. Das Schloss war von 1528 bis 1737 eine bevorzugte Residenz der englischen und britischen Könige und befindet sich noch heute in Privatbesitz des englischen Königshauses. Gegen Ende des 17. und im 18. Jahrhundert wurden dann große Teile des Gebäudes im Stil des englischen Barock umgebaut.

Die Architektur des Tudorstils hielt an spätgotischen Detailformen fest und nahm nur ganz verhalten Elemente der Renaissance auf. Kennzeichnend ist z.B. der Tudorbogen, eine gedrungene Form des gotischen Spitzbogens. Eine “typische“ Tudor-Fassade zeichnet sich aus durch rechteckige oder achteckige (oktagonale) Flankierungstürmchen (siehe Zwenkauer Ratskeller), ferner durch Erker und Lanzettfenster (teils rechteckig mit Kreuzstock, teils mit Tudorbögen). Oft findet man auch zinnenbekrönte Mauerabschlüsse vor (auch bei Kirchen) oder aneinander gereihte Dreiecksgiebel ohne Zinnen. Hinzu kommt mitunter eine filigrane Kamin-Architektur auf den Dächern. Ebenso kam Fachwerk-Architektur zum Einsatz.

Die Symmetrie spielte im frühen Tudorstil keine Rolle, vielmehr wurde die Verschiedenartigkeit der einzelnen Fassadenabschnitte betont. Das änderte sich gegen Ende der “Tudor-Zeit“ mit der sich in England anschließenden Elisabethanischen und Jacobinischen Kunst- und Baustilepoche.

Schon im 18. Jahrhundert nach der Barock-Epoche wandte man sich in England teilweise dem Gotik-Stil wieder zu. Im Stil dieser Neugotik (Gothic Revival) wurde 1862 in der mecklenburgischen Kleinstadt Marlow ein neues Rathaus fertiggestellt, welches vom Gesamteindruck unserem Ratskeller verblüffend ähnelt. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten dann vermehrt auch Tudor-Elemente in der Architektur als “Tudor-Revival“ oder “Neu-Tudorstil“ wieder auf. Es ist daher wohl eher zu vermuten, dass sich die Architekten unseres Ratskellers anno 1866 an dieser Stilrichtung orientierten und nicht so sehr am Original-Tudor-Stil des 15. und 16. Jahrhunderts. Es gibt auch in Deutschland und Nachbarländern zahlreiche Beispiele für das “Tudor-Revival“. In unserer Region ist z.B. Schloss Eckberg zu nennen, eines der drei Elbschlösser am rechten Elbhang in Dresden.

Dieses Zurückgreifen auf Stilelemente früherer Kunst- und Architekturepochen bezeichnet man ganz allgemein als Historismus, der in Mitteleuropa etwa zwischen 1850 und dem Beginn des Jugendstils um 1895 eingeordnet wird.

Unser Zwenkauer Rathaus bekam am 22. Februar 1908 hohen Besuch, denn der sächsische König Friedrich August III. schlug in unserer Stadt auf. Davon sind einige Fotos erhalten, die die Staatskarossen vor dem Eingang des Rathauses zeigen. Zu dieser Zeit war der dienstälteste Bürgermeister Zwenkaus (zumindest der überschaubaren jüngeren Geschichte) und Ehrenbürger Gustav Oswald Ahnert im Amt - nämlich von 1873 bis 1911.

1914 zog die Zwenkauer Stadtverwaltung in das “Neue Rathaus“ (jetzige Grundschule) an der heutigen Pestalozzistraße um. Das Gebäude am Markt wurde an den Betreiber des “Ratskeller“ mit nunmehr überwiegend gastronomischer Nutzung verkauft. 1926 erfolgte der Anbau eines Bühnentraktes an der Westseite, der sich über die gesamte Tiefe des Gebäudes und in der Höhe bis zur Dachtraufe erstreckte und der zumindest von außen den Gesamteindruck des Hauses nicht unbedingt positiv bereicherte. Natürlich ermöglichte dieser Anbau neue Nutzungsmöglichkeiten insbesondere für den Saal im ersten Obergeschoss. Das Haus wurde in den folgenden Jahrzehnten rege für vielerlei Veranstaltungen genutzt.

1990 erfolgte dann die Reprivatisierung mit anschließendem jahrelangem Leerstand. Der Verfall des Bauwerks schritt in dieser Zeit weiter voran. Ein Abbruchantrag wurde vom Stadtrat 1997 abgelehnt, denn das stadtbildprägende Bauwerk wollte man für Zwenkau unbedingt erhalten. Es sollte aber noch bis 2008/2009 dauern, um das Gebäude dauerhaft zu retten.

Mit dem grundlegenden Umbau erfolgten der Abbruch des Bühnentraktes und die vollständige Entkernung und Restaurierung der Bauhülle. Seit Oktober 2009 beherbergt das Haus nun 12 Wohneinheiten, die von Privatinvestoren gekauft und vermietet wurden. Im September 2009 konnten sich die Zwenkauer anlässlich eines Tages der offenen Tür ein Bild machen von der neuen Wohnanlage in den Mauern des alten Ratskellers.

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